Der „Lapsus linguae“, der „Freudsche Versprecher“. Ist es nur ein einfacher Versprecher, oder verrät er doch unsere wahren Gedanken?
Den „Freudschen Versprecher“ gibt es in verschiedenen Formen. Während der Versprecher sich noch auf gesprochene Sprache bezieht, ist beim „Freudschen Verschreiber“ das geschrieben Wort maßgeblich. Dennoch geht in beiden Fällen um die Sprache. Allgemeiner geht es mit dem Begriff der „Freudschen Fehlleistung“. Sie befreit sich von der Sprache und bezieht sich ebenso auf Handlungen. Benannt wurde sie nach Sigmund Freud, weil er in seinem Werk „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“ die Existenz eines solchen Phänomens in den Raum stellte.
Kognitive Fehlschaltung oder unterbewusste Ausdrucksweise?
Nicht ganz sicher ist man sich bei der Deutung der Fehlleistungen. Es gibt durchaus Stimmen die sagen das es sich lediglich um eine Fehlschaltung im Kopf handelt. Jeder von uns kennt die gesprochenen Verdreher der Art „Wechselstaben verbuchselt“. Solche Verdreher sind mal mehr, mal weniger lustig und haben sogar Einzug in Komödien gehalten („Kentucky schreit ficken“ lässt grüßen). In diesen Fällen kann man in aller Regel auch tatsächlich nur von einer Art verbalem Schreibfehler ausgehen.
Interessanter wird es wenn die verdrehte Aussage plötzlich Sinn macht. Ganz besonders interessant wird es wenn die verdrehte Aussage im Kontext des Sprechers einen Sinn ergibt. Einige Fehlleistungen lassen sich nur schwer auf „verbale Schreibfehler“ zurück führen. Tatsächlich gibt es immer wieder Fälle in denen die verdrehte Form der Aussage, die scheinbare Fehlleistung, mehr Sinn macht. Es gibt sogar Fälle in denen man weiß das ein Sprecher etwas sagt, das er nicht vertritt. Beispielsweise Politiker, die eine Aussage verkünden müssen die sie nicht teilen oder zu der sie eine andere Meinung haben. Wenn sich in der Aussage dann ein Versprecher findet, der die bekannte eigentliche Meinung des Sprechers wieder gibt, liegt der Verdacht auf der Hand das sich das Unterbewusstsein einen Weg durch die äußere, kontrollierte Fassade gebahnt hat.
Fall 1: Formulierung eines Gefühls
In der einfachsten Variante drücken wir etwas ein wenig anders aus als wir es wollten, und bewegen uns damit an der Grenze zwischen dem was wir denken und dem was wir empfinden. Nehmen wir drei mögliche Aussagen zum Thema Sport:
- „Heute Abend muss ich zum Training“
- „Heute Abend kann/könnte ich zum Training“
- „Heute Abend darf ich zum Training“, „Heute Abend schaffe ich es zum Training“
Wo ist der Unterschied? Richtig, im Adjektiv. Wenn man sich das genau ansieht, sind es drei verschiedene Motivationen. Im ersten Fall will man nicht, sollte aber, oder muss sogar. Im zweiten Fall ist es eine Option, kein Zwang, aber so richtig wollen tut man nach wie vor nicht. Im dritten Fall will man, womöglich hat man dafür sogar Widerstände aus dem Weg geräumt.
Dieses Beispiel zeigt wie man an kleinen Unterschieden in der Formulierung seiner Mitmenschen große Unterschiede in der Motivation ausmachen kann, auch wenn diese es unter Umständen nicht so ausdrücken wollten. Viele Menschen zwingen sich zu Dingen, aus Pflichtbewusstsein oder auf Grund äußerer Zwänge. Dabei versucht man sich selber oberflächlich klar zu machen das es freiwillig ist, oder notwendig, oder sich so gehört. Vielleicht auch das es Spaß macht. Gerade beim Sport ist das Phänomen des inneren Schweinehundes vorhanden. Vor dem Sport will man nicht, man denkt aber man muss. Man denkt vielleicht sogar man müsse es wollen. Nach dem Sport ist man dann tatsächlich froh es getan zu haben, doch vorher lautet die Formulierung eher „muss“.
Der erste Fall stellt ebenso einen Bereich dar in dem sich viele Menschen selbst etwas vor machen. Nicht selten kann man seinen Mitmenschen an ihren eigenen Formulierungen deutlich machen das sie sich ein verfälschtes Bild von ihren Empfindungen machen, und sich tatsächlich zu etwas gezwungen fühlen ohne es zu wissen oder sich bewusst zu machen.
Fall 2: Formulierung eines Gedanken
Für das eigene Umfeld schwerer wiegt der Fall wenn wir etwas denken, und etwas anderes sagen. Beispielsweise bei der Eröffnung einer Sitzung zu der man keine Lust hat, oder die man gar fürchtet weil sie unangenehm wird. Hier kann schon mal die Aussage fallen „Hiermit schließe ich die Sitzung“, oder „Hiermit erkläre ich die Sitzung für geschlossen“ statt sie zu eröffnen. Solche Versprecher können auch auftreten ohne bemerkt zu werden. Die meisten Zuhörer kennen die Formulierung und den Ablauf, man hört den Standard-Floskeln meist gar nicht mehr zu. Und genau so ergeht es auch dem Sprecher: er möchte den Satz nur loswerden, denkt nicht lange darüber nach, und schon bahnt sich der unterbewusste Wunsch bahn, möge es doch einfach nur vorbei sein.
Ein berühmtes und von Freud selbst angeführtes Beispiel ist das des Abgeordneten Lattmann, 1908 im Reichstag. Er wollte eine geschlossenen Postition hinter Bismarck verkünden, und tat das mit den Worten „man wolle dies auch rückgratlos tun“. Sagen sollte er „rückhaltlos“, tat es aber nicht. Über seine eigene Motivation kann man an dieser Stelle sicherlich trefflich spekulieren.
Für den zweiten Fall gibt es Beispiele die sich nur schwer mit einfachen kognitiven Fehlschaltungen erklären lassen. Eine schon zu beginn für geschlossen erklärte Sitzung hat nicht unbedingt ähnlich klingende Wörter. Zwischen „eröffnet“ und „geschlossen“ gibt es in der Aussprache schon einige motorische Bewegungen Unterschied. Die Fehlschaltung muss in diesem Fall ebenfalls tief im Unterbewussten sitzen, lange vor der Aussprache.
Fall 3: Handlungen
Die Freudsche Fehlleistung erstreckt sich eben auf mehr als das gesprochene oder geschriebene Wort. Auch bei unseren Handlungen kann man den Ausdruck des Unterbewussten entdecken. Wer des öfteren seinen Hausschlüssel liegen lässt muss nicht zwangsläufig zerstreut sein. Es kann auch der unbewusste Ausdruck eines Gefühls sein, zum Beispiel sich ausgesperrt fühlen. Oder liegt der Zweitschlüssel vielleicht an einem Ort an dem man gerne ist? Bei Menschen von denen man sich Hilfe wünscht? Nicht umsonst neigen junge Menschen nach dem verlassen des Elternhauses dazu sich aus der ersten eigenen Wohnung häufiger aus zu sperren. Nun könnte man meinen das es an dem veränderten Umfeld und dem Verlust gewohnter Abläufe liegt. Aber warum vergessen sie nicht das Licht aus zu machen? Junge Menschen die in eine fremde Stadt ziehen lassen übrigens seltener den Schlüssel in der Wohnung liegen. Hier könnte es an der Angst liegen in einer fremden Stadt ausgesperrt zu sein. Es könnte aber auch sein das die Umgebung sich so radikal geändert hat, das die neue eigene Wohnung automatisch zum neuen Bezugspunkt wurde, schlichtweg mangels Alternativen.
Die Handlungen lassen sich deutlich schwerer interpretieren. Zum einen sind sie weniger auffällig bzw. werden nicht so oft wahr genommen. Zum anderen ist es bei ihnen schwieriger einen Zusammenhang herzustellen. Doch wenn man darüber nachdenkt, wird jedem von uns schon ein Fall unterlaufen sein in dem man unbewusst etwas getan hat. Wer war schon mal auf dem Weg zu seinen Schwiegereltern, und ist ganz unbewusst den Weg zum Kumpel gefahren oder auf dem Weg zur Arbeit an einer Kreuzung scheinbar „aus Gewohnheit“ zum Lieblingsrestaurant abgebogen?
Der dritte Fall ist schwer zu betrachten, aber durchaus einen Blick Wert. Insbesondere wenn man sich selber bestimmte Fehler immer wieder mit der eigenen Zerstreutheit erklärt, bei genauerer Betrachtung aber feststellt das es vielleicht tatsächlich nur ein Gebiet ist auf dem man zerstreut ist. Oder wenige Gebiete die Gemeinsamkeiten haben. Post und Steuererklärung werden immer wieder vergessen? Vielleicht werden sie auch verdrängt, aus Angst vor dem Finanzkram. Wie bei jeder psychologischen Betrachtung besteht natürlich auch hier die Gefahr das man irgendwann hinter jeder Ecke Gespenster sieht. Daher darf man eines nicht vergessen: Manchmal ist ein Kuchen eben einfach nur ein Kuchen.
Fazit
Es gibt sicherlich viele Versprecher und unbewusste Handlungen die nichts damit zu tun haben Dinge aus dem Inneren zu offenbaren die verborgen bleiben sollen. Und nicht jeder Versprecher entlarvt einen Lügner. Auf der anderen Seite der Medaille kommt aber alles war wir tun irgendwie aus uns. Auch wenn wir auf äußere Impulse reagieren, sind die Impulse erst mal durch unser innerstes gelaufen. Und wenn wir nach „Kekse backen mit der Familie“ gefragt werden, nett antworten wollen aber im Inneren denken das wir eigentlich gar keinen Bock darauf haben, dann kann sich schon mal eine merkwürdige Formulierung daraus ergeben. Eine die unsere innere Einstellung mehr zum Ausdruck bringt als das was wir nach außen präsentieren wollen.
Das unser Gehirn sich mit mehreren Dingen beschäftigt wissen wir alle. Jeder kennt ein Beispiel. Wenn die Kinder Kekse backen wollen weiß man: nett antworten und sich freuen ist die richtige Reaktion. Im inneren denken wir aber schon an das große Chaos in der Küche, die viele Arbeit, die viele Zeit. Beides läuft gleichzeitig im Kopf ab: nette Eltern sein, aber oh weh, viel Arbeit. Warum sollte unser Gehirn nicht mal durcheinander kommen? Warum sollten sich unsere wahren Gedanken nicht wirklich mal ihren Weg in die gesprochenen Worte bahnen? Die Frage ist nur wie auffällig sie es tun.
Geben wir es zu, die Freudsche Fehlleistung gibt es, und es hat uns alle schon erwischt. Doch wie bei allen Dingen gilt: zu viel davon wird giftig. Wer alles analysiert sieht nur noch Gespenster. Wer nichts analysiert dem entgeht einiges. Irgendwo in der Mitte gibt es ein gesundes Maß in dem die Betrachtung möglicher Freudscher Fehlleistungen einem helfen kann, sowohl im Umgang mit anderen als auch in der Selbstreflexion.
https://de.wikipedia.org/wiki/Freudscher_Versprecher
http://www.dict.cc/englisch-deutsch/Freudian+slip.html
http://www.aphilia.de/psychologie-psychoanalyse-05-versprecher.html
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/psychohygiene/versprecher.html